…They were amazing about going with mistakes and humanness all around this way. Now, of course, that could never happen because everything is computer controlled and it sucks the life out of everything.
Das Zitat stammt von Ken Scott. Dieser Mann durfte in den 60ern zusammen mit den Beatles in den Abbey Road Studios arbeiten. Ken war damals Toningenieur und hat unter anderem bei den Aufnahmen zum weißen Album 1968 mitgewirkt. Wie in jedem guten Blogbeitrag müssen auch hier die Beatles herhalten, wenn es um Vergleiche der heutigen Studios mit den Aufnahmetechniken aus den 60er Jahren geht.
Was hatte man damals? Eine Handvoll Mikrofone (allerdings sehr hochwertige), einen Kompressor, einen Reverb, einen sehr einfachen Equalizer (nur tiefe und hohe Frequenzen konnten geregelt werden). Und man musste sich damit abfinden, dass nur 4 (oder später 8) Spuren zur Verfügung standen. Was aber nicht heißt, dass es nicht mögliche war komplexe Arrangements mit Overdubs zu realisieren. Nein, aber man musste sich schnell entscheiden. Denn wenn man eine neue Spur benötigte, dann wurden zwei vorhandene Spuren einfach zusammengelegt und konnten somit nicht mehr verändert werden.
Das Zitat bezieht sich auf eine Situation, in der die Beatles an den Aufnahmen zum Song Glass Onion arbeiteten. Der einfache Snare-Sound reichte den Beatles damals nicht und um ihn fetter zu machen wurde er overdubbed (ja, das haben die damals auch schon gemacht). Zur Zeit dieser Aufnahmen (1968) standen den Beatles bereits 8 Spuren zur Verfügung. Alle Spuren waren nun aber voll und es fehlten noch ein paar Flöten. Diese musste Ken nun nach dem letzten Snare Hit “punchen”.
Dabei passierte ihm ein Fehler, er punchte etwas zu früh und löschte Teile der overdubbten Snares. Er wollte schon seine Jacke nehmen und gehen, da er dachte jetzt würde sie ihn eh rausschmeißen. Aber hey, Mr Lennon fand den Effekt cool und es blieb so. Heutzutage ist es ein Leichtes solch‘ einen Fehler wieder auszubügeln. Und in 99% der Fälle wird er wieder repariert. Aus diesem Grund könnte man meinen, dass Computer das Menschliche aus Musikaufnahmen saugen. Aber ich denke, dass ist nicht das wirkliche Problem.
Das eigentliche Problem hat Barry Schwartz schon 2004 in seinem Buch The Paradox of Choice beschrieben. In der Einleitung zum Buch beschreibt Barry, wie er 1998 los zog, um sich ein paar neue Jeans zu kaufen. Er war schon länger nicht mehr in einem Jeansgeschäft, weil er seine Hosen so lange trug, bis sie quasi komplett auseinanderfielen. Im Laden teilte er der netten Verkäuferin mit, das er eine neue Jeanshose brauchte, Größe 32.
“Wollen Sie sie slim fit, easy fit, relaxed fit, baggy oder extra baggy?” … “Möchten Sie eine stonewashed, acidwashed oder komplett durchlöcherte Jeans? Mit Reißverschluß oder mit Knöpfen?” Völlig verwirrt antwortete er dann, dass er eine ganz normale Jeans möchte. Das Problem war dann allerdings, dass er sich gar nich mehr sicher war, nachdem er all die anderen Möglichkeiten aufgezeigt bekommen hat, ob er wirklich nur eine normale Jeans haben will.
Und wie nehmen wir heute Musik auf? Ich muss nicht mal mehr in ein teures Studio gehen, um einigermaßen professionelle Aufnahmen hinzubekommen. Entweder ich baue mir einen schönen Raum im Haus, in dem ich alle Instrumente selber aufnehme oder wenn ich komplett “in-the-box” arbeite, d.h. alles mit Software erledige, stelle ich mir einfach einen Laptop auf den Schreibtisch und lege los.
Apple beispielsweise liefert sein Betriebssystem mit einer Software aus, die leistungsfähiger ist, als jede Studiotechnik in den 60ern und will dafür keinen Cent extra. Es gibt locker über 20 verschiedene Anbieter von virtuellen Software Studios (sogenannten DAWs), die es jedem mit ein wenig Einarbeitungszeit ermöglichen Musik aufzunehmen. Diese digitalen Audio Workstations sind aber nicht nur reine „Aufnahmeprogramme“. Sie verfügen über Instrumente, haufenweise Effekte, Samples und Bearbeitungsmöglichkeiten, die weit über das hinaus gehen, was ich mir vor 25 Jahren vorstellen konnte.
Ich habe Anfang der 90er angefangen Musik zu machen. Zuerst habe ich mir ein paar Akkorde auf der Gitarre beigebracht und dann habe ich damit begonnen, Songs zusammen zu basteln. Auch wenn ich damals in mehreren Bands mitgewirkt habe, hat mich das Recorden von Musik immer mehr gereizt als Spielen auf der Bühne. Computer waren damals noch nicht wirklich in der Lage Musik zu recorden, außerdem waren sie zu der Zeit eh viel zu teuer. 4-Spur-Recorder konnten wir uns auch nicht leisten. Also, was tun?
Ich hatte damals zwei Tapedecks bei mir zuhause herumstehen und ein Mikrofon von Philips für 20 Mark. Die Dinger, die man heute des öfteren mal vor der Kasse vom Media-Markt rumhängen sieht. Also habe ich mit dem Mikrofon und dem ersten Tapedeck beispielsweise eine Gitarrenspur aufgenommen. Dann habe ich das Tape an den Eingang des zweiten Tapedecks angeschlossen und zusammen mit dem Mikrofon diese erste Spur zusammen mit einer neuen Gitarrenspur oder Bass oder sonstwas auf die zweite Cassette gebounced.
Da war jetzt nix mit Abmischen oder irgendwelche Effekte dazu tun im Nachhinein. Die Aufnahmen waren so und blieben so, wie sie ins Mikrofon kamen. Der Sound wurde logischerweise mit jeder neuen “Spur” schlechter. Es gab dieses typische Taperauschen, wie man es von Lo-Fi Aufnahmen von Lou Barlow kannte (allerdings kannte ich ihn zu der Zeit noch nicht, also war es noch nicht so cool 😀 ). Auch später, als man sich mal einen 4-Spur-Rekorder ausleihen konnte, wurde zwar das Aufnehmen etwas leichter (man konnte zumindest die Lautstärken der einzelnen Spuren etwas anpassen im Anschluss), aber trotzdem war das Prinzip ähnlich.
Was ist der Punkt? Warum erzähle ich das? Der Punkt ist, dass ich in der Zeit locker 2-3 Songs pro Woche aufgenommen habe. Auch wenn diese soundqualitativ verdammt übel waren, habe ich sie richtig schnell fertig bekommen und auf Tape gebannt. Auch später, als wir dann den Computer benutzt haben, mit einer Raubkopie irgendeiner DAW, die wir quasi nur als Mehrspur- Rekorder eingesetzt haben (Midi war uns so fremd wie C++), ging alles viel schneller. Wir hatten sogar ein paar Mikros um ein Schlagzeug abzunehmen und einen einfachen Mischer für 6 Mikros. Wir haben alles angestöpselt, über Kopfhörer schnell die Mikros gemischt und dann wurden die Drums komplett auf eine Audiospur aufgenommen. Da konnte man im Nachhinein nichts mehr ändern. Wir wussten dann zwar, was wir das nächste mal besser machen könnten, aber die Aufnahme war dann schon im Kasten.
Ungefähr seit 2009 beschäftige ich mich intensiver mit Software aus dem Bereich Musik. D.h. Audio Workstations, Effekte, virtuelle Instrumente. Der Markt ist voll davon. Falls man zu der Sorte Mensch gehört, die immer Angst hat, dass es etwas besseres gibt als die Software, die man jetzt gerade benutzt, dann hat man heutzutage ein Problem. Das gilt allerdings für alle Bereiche der Software. Der Programmierer weiß nicht ob seine Entwicklungsumgebung dieselben Features hat, wie das Produkt, dass sein Kollege immer benutzt. Und der Autor kann sich für keine Textverabeitung entscheiden. Wenn man’s mal genau betrachtet, dann gilt dieser Entscheidungsparalyse nicht nur für Software. Denn wenn der Autor sich dann einen Drucker aussuchen soll, ist die Depression vorprogrammiert.
Ich weiß jetzt gar nicht, wieviele verschiedene DAWs es auf dem Markt gibt, aber mir fallen auf Anhieb ca. 15 ein. Im Grunde funktionieren alle auf die gleiche Weise. Es gibt einen Sequenzer, virtuelle Instrumente (mehr oder weniger), diverse Effekte (hier auch mal mehr, mal weniger) und meistens die Möglichkeit das alles mit diversen Schnittstellen zu erweitern (Rewire, VST, AU, …).
Ich spreche hier jetzt von Musikern meiner Gattung, die nahezu komplett in-the-Box arbeiten. D.h. sie benutzen hauptsächlich virtuelle Instrumente, entweder in Sampleform oder Synthesizer. Vielleicht steht in der Ecke noch eine Gitarre oder ein Bass, aber überwiegend werden Softwareinstrumente und Effekte benutzt. Allein die Auswahl eines Schlagzeug-Plugins kann einen in den Wahnsinn treiben. Nehme ich ein Produkt der vielen Anbieter auf diesen Gebiet, mit ihren Gigabytegroßen VST Plugins auf Sample-Basis? Oder füttere ich den Sampler meiner DAW mit Samples, denn auch hier gibt es unendlich viele Produkte? Ich könnte aber auch die Samples direkt in den Sequenzer einfügen und komplett auf einen Sampler verzichten? Und wie sieht es mit elektronischen Trommeln aus? Samples oder Synthesizer, und wenn Synth, welchen? Vielleicht einen mit eigenen Step-Sequenzer?
Falls man hier etwas labil ist und sich vielleicht schnell von Produktwerbung und Foreneinträgen beeinflussen läßt, verbringt man den Rest seines Musikerdaseins mit dem Testen von Software. Ich wünsche mir manchmal die alten Zeiten zurück, wo man nichts hatte und damit einfach kreativ arbeiten musste. Denn eines ist nunmal wissenschaftlich belegt: Einschränkungen fördern die Kreativität.
Aus diesem Grund denke ich, dass es für einen Musiker, der überwiegend mit Software arbeitet, wichtig ist sich einzuschränken. Man muss sich nunmal für eine DAW entscheiden, den Umgang damit perfektionieren und nicht mehr nach links oder rechts schauen. Vielleicht sogar eine DAW wählen, deren Funktionsumfang überschaubarer ist, die vielleicht sogar grundlegende Funktionalitäten gar nicht anbietet. Eine DAW, die nicht dutzende von Instrumenten mitliefert und eine Samplebibliothek, in der man nach Jahren noch Klänge entdeckt, die man vorher noch nie benutzt hat. Und wenn man zusätzliche Instrumente benötigt, dann vielleicht nur einen Synthesizer installieren, nur ein Drumset und nur ein Piano.
Ich habe schon viel DAWs ausprobiert und konnte mich lange nicht entscheiden. Seit Februar 2017 bin ich nun bei Bitwig hängen geblieben. Mir gefällt die Arbeitsweise und die GUI und ich mag die Instrumente und Effekte. Ich recorde noch mit einer anderen Band, eher traditionell mit Schlagzeug und Gitarre / Bass und allem möglichen Zeugs, daher kommt mir die große Auswahl an Instrumenten, Effekten und Samples von Bitwig Studio gerade recht. Wenn es aber um das tropone Projekt geht, muss ich mich einschränken … sonst weiss ich überhaupt nicht, wo ich anfangen soll.
Aus diesem Grund gibt es für mich einige Regeln, oder auch ein Manifest, wie es beispielsweise auch Matthew Herbert für sich geschrieben hat, an das ich mich akribisch halte und das mir Grenzen auferlegt.
- Ich arbeite nur in einer DAW (Bitwig) und mit dessen Effekten
- Ich benutze keine zusätzlichen Plugins von Drittanietern
- Neben echten Instrumenten benutze ich nur ein virtuelles und das ist der Sampler
- Ich benutze höchstens die Samples, die meine DAW mitliefert. Keine Libraries oder Samples von Drittanbietern.
- Selber Samplen von analogen Quellen (Mikrofon, Instrumente oder auch Vinyl) ist natürlich erlaubt und erwünscht, digitale Quellen sind verboten.
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