Ich habe Ende der 90er zum ersten mal einen Computer mit spezieller Software genutzt, um meine musikalischen Ergüsse festzuhalten. Ich hatte absolut keine Ahnung und war froh, dass ich meine Gitarre, Stimme und das Schlagzeug unseres Drummers irgendwie auf Festplatte bekommen konnte.
Ich habe mich damals nie um Funktionen der Software gekümmert, die ich nicht kannte und brauchte. Ich wusste wie ich eine neue Spur aufzeichnen konnte (Audio), wie ich deren Lautstärke ändern konnte, wie ich die Aufnahme mithilfe des Pan-Reglers im Stereofeld platzieren konnte und ich wußte nach Gehör so einigermaßen mit dem EQ umzugehen und einen Reverb einzusetzen. Im Grunde habe ich die DAW genauso benutzt, wie einen Mehrspurrecorder.
Das war’s. Midi kannte ich überhaupt nicht. Ich hatte weder einen Midi-Controller, noch irgendwelche virtuellen Instrumente. Ich habe mich nicht einmal um das Tempo in der DAW gekümmert. Wir haben unsere Songs immer ohne Klick eingespielt, mit all ihren Temposchwankungen. Angepasst wurde da im Nachhinein auch nichts mehr. Wir haben die Software quasi so benutzt wir wir es wollten und nicht wie man es eigentlich sollte 😉 Und vor allen Dingen haben wir immer zuerst unsere Songs geschrieben bzw. allein mit unseren Instrumenten und Köpfen zusammengeschustert. Die Werkzeuge zum Festhalten dieser Gedanken kamen erst ganz am Ende ins Spiel.
Und genau das ist der Punkt. Ohne es zu merken, werden wir immer mehr zu Sklaven diverser Anwendungen. Und ich spreche hier nicht unbedingt nur von der Audio Workstation. Internet Anwendungen verlangen von uns regelmäßig dort vorbeizuschauen. Und es ist tatsächlich so, dass der Großteil der Nutzer von sozialen Netzwerken gar nicht anders kann und täglich des öfteren einen Blick in ihre Timeline werfen muss! Man könnte ja etwas verpassen 😀
Die Textverarbeitung lässt uns alle Regeln der Rechtschreibung und Grammatik vergessen. Die Anwendung wird schon meckern, wenn wir einen Fehler machen. In aktuelleren Versionen wird sogar einfach verbessert ohne vorher Bescheid zu geben. Wir merken dann nichtmal mehr, dass wir etwas falsch geschrieben haben. Man wird beim Schreiben in einer modernen Textverarbeitung schon gleich zu Anfang dazu verleitet, sich Gedanken über das Layout des Dokumentes zu machen und quasi vom eigentlichen Schreiben abgelenkt.
Liest heute noch jemand gedruckte Landkarten und versucht sich eventuell einen Weg zu merken, den er zum ersten mal fährt oder auch geht? Achtet noch jemand auf markante Bauwerke, damit das Einprägen der aktuellen Position im Gedächtnis hängen bleibt? Das Navigationsgerät sagt uns schon wann wir abzubiegen haben und wann wir am Ziel sind. Es gibt keinen Grund sich irgendwie zu orientieren, denn die nette Stimme aus dem kleinen Gerät wird uns das nächste mal wieder so freundlich den Weg weisen.
Ich spüre seit einiger Zeit am eigenen Leib die Auswirkungen von übermässiger Nutzung von Software und dem Internet. Wie macht sich das deutlich? Ich habe Schwierigkeiten ein Buch konzentriert zu lesen. Wenn ich abends zum Einschlafen ein Hörbuch hören will, bin ich spätestens nach 5 Minuten woanders mit meinen Gedanken und das Hörbuch ist nur noch Geräusch im Hintergrund.
Dieses Verlangen nach Neuem und Ablenkung wird durch die Digitalisierung und das Internet nur noch verstärkt. Ich weiß nicht woher dieses Verlangen kommt, aber die ständige Präsenz von Werbung ist mit Sicherheit nicht ganz unschuldig. Außerdem ist die sofortige Verfügbarkeit jeglicher Art von Information pures Gift. Das Internet ist ein Bonbonladen, an dem man nicht einfach so vorbeigehen kann. Meine Twitter-Timeline ist jeden Tag voll mit Zeugs, dass mich fast fernsteuert. Foren, die ich regelmäßig besuche, Facebook-Gruppen oder Blogs, all das aktiviert mein Interesse für Dinge, die ich alle zusammen gar nicht unter einen Hut bringen kann.
So versuche ich alles aufzusaugen, zu verarbeiten, mich damit zu beschäftigen und am Ende der Woche habe ich eigentlich nichts getan und bin nur gestresst. Was ist die Lösung? Für mich persönlich bleibt nur die radikale Eingrenzung der Werkzeuge. Meine DAW öffne ich erst, wenn ich eine Songidee von vorne bis hinten skizziert habe. Ich nutze die Workstation nicht mehr zum Schreiben von Musik, weil sie mich nur ablenkt und behindert. Natürlich verzichte ich so auf viele Vorzüge einer Software, aber unter’m Strich bringt es mir so herum mehr.
Ich muss mich außerdem zwingen das Internet weitgehend zu vermeiden. Wenn ich schreibe, programmiere oder Musik aufnehme, ist das Internet absolut tabu. Das klingt wie ein Entzug … im Grunde ist es auch genau das. Ich muss mich einfach befreien von der Angewohnheit, bei jedem Problem das Netz zu befragen oder zu schauen, wie es denn andere machen.
Ich muß mich einfach fragen, welche Dinge mir wichtig sind und mich ausschließlich damit beschäftigen. Alles andere führt zu nichts, außer unzähligen Stunden des Treibens und der Frage, was man eigentlich den ganzen Tag getrieben hat?
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