Ich glaube ich war 7 als ich meinen ersten Cassettenrecorder zum Geburtstag bekam. Das war so ein flaches Teil, an dem oben ein kleiner Lautsprecher war, dann der Cassettenschacht und darunter die klobigen Schalter zum Bedienen. Ich habe es geliebt und ich konnte allen möglichen Krams auf Tape festhalten … Hexenwerk.
Ein paar Jahre später gab es dann den obligatorischen Ghettoblaster der 80er Jahre. Ein Hammerteil mit zwei fetten Lautsprechern, Radioteil und die Möglichkeit das Radioprogramm und Sound von anderen Cassettenspielern mithilfe eines DIN-Kabels aufzuzeichnen. Ein Mikrofon war selbstverständlich auch vorhanden. Und man konnte den Aufnahmepegel einstellen und den Sound so herrlich übersteuern. Schon damals habe ich Tape Saturation geliebt.
Was macht Saturation eigentlich?
Im Grunde verstärkt Saturation nur vorhandene Frequenzen. Ähnlich wie bei einer Bildverarbeitungssoftware die vorhandenen Farben, wird beim Sound das verstärkt oder hervorgehoben, was vorher eigentlich auch schon da war.
In Bezug auf Audiomaterial werden den vorhandenen Frequenzen weitere Obertöne hinzugefügt. Wenn man es auf die Spitze treibt, kann das bis hin zur Verzerrung führen. Saturation kommt noch aus den analogen Tagen, als der Sound durch verschiedenste Hardware lief (Röhrenverstärker, EQs, Kompressoren und eben auch Tape). Seitdem versucht man durch leichtes Übersteuern des Signals diesen Charakter hervorzuheben, denn er macht den Sound „interessant“ oder auch „warm“.
Seitdem Audiomaterial fast ausschließlich digital festgehalten wird, fehlt der gesättigte Sound. Aber dieser Charakter fehlt dem Sound. Aus diesem Grund benutzen Soundingenieure entweder Hardware, um den Effekt zu erzeugen oder eben ausgeklügelte Algorithmen in Plugin-Form, die eben diesen warmen Sound emulieren.
Tape Saturation Plugins ahmen die Effekte, die Tape mit dem Sound macht, nach. Mal besser mal weniger gut. Vielfach ist die grafische Oberfläche des Plugins schmeichelnder, als das Klangresultat. Meistens wird der Einfluß professioneller Tapes (Bandmaschinen aus den großen Studios vergangener Tage) emuliert.
Tape erzeugt ungeradzahlige Obertöne, Kompression und nicht-lineare Frequenzresonanzen. Tape Saturation glättet auch die oberen Frequenzen und verstärkt die tieferen Bereiche leicht. Es rundet die Transienten etwas ab und erzeugt eine Kompression, die den Sound etwas weicher macht. Daher wird diese Form von Saturation vielfach als warm oder punchy empfunden. Sie verleiht dem Klang mehr Dimension, macht ihn fetter und fügt Tiefe hinzu.
Wavesfactory Cassette
Wavesfactory hat nun ein Plugin herausgebracht, das eben diese Form der Saturation nachbildet. Allerdings werden hier verschiedenste Eigenschaften des Tapes nachgebildet. Denn die Cassetten und deren Recorder bzw. Abspielgeräte fügten dem Sound noch einige andere Eigenschaften als nur Saturation hinzu.
Das Plugin bietet eine schöne und einfache Benutzeroberfläche, die relativ selbsterklärend ist. Es beinhaltet im Hintergrund aber noch ein paar Parameter bereit, die andere Plugins nicht bieten.
Zunächst kann man den Input und Output regeln, Anhand des Inputs kann man die Kompression, Saturation bzw. die Hintergrundgeräusche regeln. Je weiter man den Input hoch regelt, desto mehr wird der Sound komprimiert, gesättigt bzw. verzerrt. Wenn das Eingangssignal allerdings herunter geregelt wird, erhöht sich logischerweise das Hintergrundrauschen des virtuellen Tapedecks.
In der Mitte des GUI sieht man die Cassette (wunderbar animiert), die soundtechnisch nachgebildet wird. Man kann hier vier verschiedene Cassetten auswählen Type I, II, III oder IV. Mit den verschiedenen Tapes ändert sich die Art der Kompression, die Hintergrundgeräusche und Saturation.
Besonders drastisch wirkt sich die Wahl der Bandmaschine aus. Man hat die Wahl zwischen einen professionellen Modell aus einem Studio (pro), einem Tapedeck, das man früher zuhause hatte (home) oder dem Sound eines klassischen Diktiergeräts aus den 80ern (micro). So kann man schnell mal eben auf einen schönen Lo-Fi Sound umschalten.
Eine Cassette klingt natürlich anders, wenn sie des öfteren gelöscht wurde. Der Regler Erasures steuert genau das: Je höher der Drehregler im Uhrzeigersinn gedreht wird, desto öfter wurde das jeweilige Tape gelöscht und desto mehr Artefakte sind im Sound zu hören. Logischerweise wird man beim Pro-Tape weniger Unterschied hören als im Micro-Tape.
Stability regelt Wow and Flutter. also quasi diese kleinen Tonhöhenunterschiede, die bei älteren und billigeren Tapes immer deutlicher werden. Wird der Regler zu 100% aufgedreht ist das Tape komplett stabil und je weiter dieser Wert herunter geregelt wird, desto mehr Tonhöhenschwankungen kann man hören.
Static Noise und Dynamic Noise regeln den Noiseteppich des Tapes. Je niedriger das Eingangssignal (Input), desto mehr Static Noise kann man hören und Dynamic Noise fügt dem Signal Stereo Noise hinzu, was zu einem breiteren Sound führen kann.
Artefacts sind verschiedene Dropouts in den höheren und tieferen Bereichen.
Wenn man oben links das kleine unscheinbare Zahnrädchen anklickt kommt man zu einem Menü, dass noch viel tiefer gehende Einstellungen ermöglicht und Cassette in meinen Augen von anderen Tape Saturation Plugins abhebt.
Zunächst kann man einige Effekte schlichtweg ausschalten. Wenn man z.B. nur Tape Saturation braucht, kann man alles andere einfach ausschalten. Außerdem lassen sich alle möglichen Effekte und Artefakte in ihrer Tiefe bzw. Wiederholungsrate regeln. Und es gibt zusätzlich noch so leckere Einstellungen, wie zum Beispiel Re-Cassette. Re-Cassette simuliert das wiederholte Überspielen eines Tapes. Man kennt das ja: Man bekommt von einem Freund seine Aufnahme der Sgt. Pepper LP von den Beatles und macht sich von dem Tape eine Kopie. Diese Kopie leiht man einem anderen Freund und dieser dupliziert das Tape erneut … usw, usw. Nach jeder Kopie wird der Sound etwas „schlechter“ oder eben charakterreicher.
Soundbeispiele
Das erste Beispiel ist ein simpler Schlagzeugbeat, bei dem der Input ziemlich gepusht wurde, auf einem Hometape, das des öfteren schon gelöscht wurde. Nach 6 sek. setzt der Effekt ein.
Das zweite Beispiel enthält eine Mandoline, die extrem degradiert wurde, indem das Micro-Tape ausgewählt wurde und diese schon des öfteren mal gelöscht worden ist.
Fazit
Für mich stellt Wavesfactory Cassette die bis dato beste Tape-Emulation dar. Da ich ein großer Fan des virtuellen Mellotron von Arturia bin, freue ich mich über ein Effektplugin, dass es mir ermöglicht diesen typischen Tapesound auf alle möglichen Aufnahmen anzuwenden. Entweder subtil oder extrem. Cassette bietet wirklich flexible Einstellungsmöglichkeiten und ich bin froh, dass man hier wählen kann zwischen professionellen Tape und Diktiergerät. Alle anderen Plugins aus diesem Bereich waren meistens nur auf Pro-Tape beschränkt.
Eine weitere gute Alternative ist aber auch das relativ neue Plugin Bad Tape von Denise, welches ich auch erst vor kurzem erworben habe. Ich persönlich mag den Sound von Cassette etwas lieber, aber das ist wie immer Geschmacksache. Cassette gibt es im Moment für wirklich günstige 29 Euro und regulär soll es wohl 50 Euro kosten. Und selbst das wäre für soviel Flexibilität recht günstig.
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