Schonmal die Drum-Samples gezählt, die beispielsweise bei der Ableton Live Suite mitinstalliert werden? Oder bei Bitwig, oder Studio One … oder sonstwo? Alle gängigen Drum Machines: 808, 909, 707, 606, LinnDrum, C78, … Akustische Drums: für Rock, Pop, Funk, Metal, … Wie soll man sich da entscheiden? Irgendwann kann man die immer gleichen Sounds auch nicht mehr hören, oder? 

Schon Anfang des letzten Jahrhunderts haben kreative Köpfe darüber nachgedacht einfach mal Alltagsgeräusche in die Musik mit einfließen zu lassen. Da gab es Avantgardisten, die in alltäglichen Geräuschen wie das Rattern und Schnauben von Eisenbahnen wunderbare Rhythmen und Muster gehört haben. 

Die Futuristen

Luigi Russolo war wohl einer der ersten, der den Krach der aufblühenden Industrie als neue Musik empfand. Er entwickelte eigene Instrumente, die diese Geräusche nachspielten und gab sogenannte „Noise-Konzerte“. Diese industriellen, kalten und vielfach unangenehmen Geräusche verursachten Wut im Publikum seiner Konzerte und diese endeten nicht selten in wütenden Tumulten.

1913 veröffentlichte er das Manifest The Art Of Noises, dass sich mit dem steigenden Geräuschpegeln in den Städten und der Industrie befasste.

Musique Concrète

Auf der Idee von Russolo aufbauend – aber weniger drastisch – erfand der Franzose Pierre Schaeffer in den 1940ern die Musique Concrète. Er wollte einfach die Geräusche die uns tagtäglich umgaben in die Musik einbeziehen. Anders als Russolo wollte er diese aber nicht mit selbstgebauten Instrumenten imitieren.

Er wollte weg vom Komponieren auf Papier und die Art wie konventionelle Instrumente diese Kompositionen nachspielten. Er wollte Geräusche einfangen, diese auch verändern. Aber seine Kompositionen auf Grundlage dieser Geräusche aufbauen.

Sampling

Heutzutage ist es denkbar einfach Geräusche des Alltags – auch liebevoll Field Recordings genannt – festzuhalten. Einen portablen Recorder bekommt man für ein paar Euros. Im Grunde kann man auch sein Smartphone dafür benutzen. Selbst im Schlafzimmer-Studio vor einem Mikrofon kann man einfach Haushaltsgegenstände benutzen, um interessante Geräusche aufzuzeichnen. Wie einfach diese Aufnahmen in der DAW oder im Sampler zu bearbeiten sind, brauch‘ ich hier wohl nicht zu erwähnen. Russolo und Schaeffer konnten von diesen Möglichkeiten nur träumen 😉

Inwieweit man Field Recordings in seiner Musik einsetzt bleibt wirklich jedem selbst überlassen. Man kann komplett extrem vorgehen und ein Sample von 3 Sekunden aufnehmen und dann einen Song ausschließlich mithilfe dieses Samples erstellen. Der Kreativität kann es nur gut tun, wenn man sich dermaßen einschränkt. 

Auf YouTube gibt es massenhaft Videos, die diese Idee in Angriff nehmen. Es ist auf jeden Fall eine gute Übung in Sound Design.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Matthew Herbert. 2010 veröffentlichte er das Album One Pig. Da er damit die Fleischindustrie anprangern wollte, vertonte er das Leben eines Schweins, von der Geburt bis auf den Teller. Wie macht man sowas? Indem man in den Schweinestall bzw. Schlachthof geht und Schweinegeräusche aufnimmt.

The first question I’m always asked,” says Herbert, „is ‚Why are you making a record out of a pig?‘ And for me, that’s the wrong question. You should be asking everybody else why they’re making a record with a guitar. There’s been millions and millions of records made out of guitars, and not so many made out of pigs.

Matthew Herbert in einem SoundOnSound Interview 2010

Bereits 2005 hat Herbert ein Manifest geschrieben, dass ihm hilft kreativer zu arbeiten. Dieses Manifest hat er veröffentlicht und ich persönlich kann viele Punkte daraus unterschreiben. 

  • Verwende keine Sounds, die es schon gibt (keine Drum Machines, keine Synthesizer, keine Presets). 

Gut, das ist jetzt Auslegungssache. Denn wenn ich in der Küche das Knarren einer Schranktür aufnehme … dann gibt es das Geräusch ja auch schon … irgendwie 😀 Ich denke das Manifest bezieht sich hier auf Sounds in einer DAW.

  • Nur Sounds, die zum Beginn des Projekts erstellt wurden, dürfen verwendet werden.

Finde ich auch ganz spannend. Man muss also für jeden Song oder auch für jedes Album neue Sounds und Samples erstellen. Selbst selbstgebaute Bibliotheken, die schon vorher mal verwendet wurden, sind nicht erlaubt.

Wie anfangen?

Ein weiterer Pluspunkt für das Aufnehmen von eigenen Sounds und dem Erstellen von Rhythmus- bzw. Melodie-Instrumenten aus diesen Recordings, ist definitiv der Spaßfaktor. Es macht einfach eine Menge Spaß mithilfe der Tools einer DAW Schlagzeugsamples, Bass und sonstige Instrumente zu bauen.

Das Gute ist, man kann hier nichts falsch machen. Keiner schreibt mir vor welche Instrumente ich verwenden muß. Mit ein wenig Übung kann man aus jeder Alltagsaufnahme etwas Wunderbares bauen.

Vor ein paar Tagen hat mein Sohn hier oben mit so einer seltsamen Spielzeugpistole herumgespielt, wo vorne so Funken rauskommen (klingt dramatischer als es ist…). Die Geräusche habe ich gleich mal aufgenommen.

Fragwürdiges Kinderspielzeug

Mit dem Sampler und einigen wenigen Effekten in Ableton habe ich dann Kick, Snare, HiHat und OpenHat Samples daraus gebaut. Ein kurzer funky Beat klingt dann damit so.

Funky Found Sounds…

Nicht allzu beeindruckend, hat aber auch nur eine Viertelstunde gedauert.

Aber auch wenn man nicht der Typ ist, der mit einem portablen Recorder durch die Gegend rennt, muss man nicht auf die ewig gleichen Samples-Bibliotheken zurückgreifen. Ich schaue beispielsweise des öfteren auf freesound.org vorbei, wenn ich mal wieder keine Lust habe meinen Arsch zu bewegen.

Dort gibt es eine reichhaltige Sammlung an Sounds aus quasi allen Bereichen. Gestern habe ich beispielsweise einmal nach „Breaking Wood“ und „Glass“ gesucht und mir aus einigen Sounds ein paar Percussion-Instrumente und einen Rhythmus gebaut. Und man muss nichtmal unbedingt zu einem Sampler-Instrument greifen. Jede DAW ist ja im Grunde ein riesiger Sampler. Warum sollte ihn dann nicht auch so nutzen. 

Holz und Glas Percussion…

Perc, Bass und Piano

Wenn man mal ganz kurz an „Tomorrow Never Knows“ der Beatles 1966 zurückdenkt, weiß man, dass man mit einigen Founds Sounds (z.B. das Lachen von Mr McCartney), ein wenig Volume Automation, Pitch Shifting und dem Equalizer ganz hervorragende Hintergrundeffekte erzielen kann. Ganz ohne virtuelle Instrumente oder populäre komplexe Synthesizer. Wenn ich doch jeglich komplexe Waveform selbst aufzeichnen kann, warum sollte ich mich dann immer auf ein paar seltsam verschaltete Oszillatoren beschränken, die jeder benutzt?